Mein Leben mit Emethophobie

Ich erinnre mich, das ich diese Angst schon verspürt habe seit ich denken kann. Aber ich sollte vielleicht erst mal erklären, was diese Angst überhaupt ist. Dafür habe ich mal ein Paar Fakten zusammen getragen. Und da es bei jedem Betroffenen anders ist werde ich danach schildern wie es bei mir ist.

 

 

 

Bei der „Emetophobie“ handelt es sich um eine übermäßig ausgeprägte, irrationale Angst vor dem Erbrechen, die von Außenstehenden oft als "übertrieben" erlebt wird. Sie äußert sich in:

 

  • Panik davor, sich selbst zu übergeben, unabhängig davon, ob alleine oder in der Anwesenheit anderer.
  • Panik davor, miterleben zu müssen wie andere Personen und/oder Tiere sich übergeben.
  • Panik vor/bei jeglicher Konfrontation mit dem Thema (z.B. durch Medien, Gespräche, Erbrochenes, eigene Gedanken).

 

Nicht alle drei Dimensionen müssen gleichermaßen vorliegen, um von Emetophobie zu sprechen.

 

Im Gegensatz zu Nicht-Phobikern, verspürt der/die PhobikerIn allerdings nicht nur normalen Ekel oder Furcht, sondern erlebt das Erbrechen als existentiell bedrohlich. Dies bringt auch eine physische "Alarmhaltung" des Körpers mit sich, die man allgemein z.B. auch aus starken Schreckmomenten kennt. Die Konfrontation mit dem Thema geht oft einher mit Begleitsymptomen wie Herzrasen, Atembeschwerden, Beklemmungsgefühlen, Verwirrtheit/Orientierungslosigkeit, Schluckbeschwerden, Schweißausbrüchen, Schwindel oder Übelkeit. Häufig werden diese Symptome gar durch vollkommen unbedenkliche Körpersignale ausgelöst wie z.B. Verdauungsgeräuschen, Hungergefühl, Husten oder Räuspern bei sich selbst oder anderen. Auch die ständig präsente Erwartungshaltung, mit dem Thema konfrontiert zu werden, kann zum Auslöser solcher Attacken führen.

In der Regel ist den Betroffenen rational klar, dass ihre Angst vorm Erbrechen irrational und unangemessen ist, dennoch ist es ihnen nicht möglich, Herr ihrer Ängste zu werden. Oft können Betroffene auch nicht benennen, was genau sie am Thema Erbrechen so ängstigt.

Eins der Hauptprobleme für den Emetophobiker ist, dass dieser aufgrund seiner ständigen Erwartung(sangst) mit dem Erbrechen konfrontiert zu werden, häufig an einer durch die Angst provozierten Übelkeit leidet. Im Extremfall kann ist diese 24 Stunden am Tag vorhanden und kann nicht von physisch bedingter Übelkeit unterschieden werden. Auch die für Phobien übliche Angst vor einer Angstattacke selbst (sog. Phobophobie, Erwartungsangst), wird schnell zum Teufelskreis für den Angst geplagten. So kann bereits die Angst davor, eine Panikattacke zu erleiden, selbst eine solche auslösen.

 

Wie kann die Angst vorm Erbrechen einen im Alltag einschränken?

Nicht selten kommt es zum Aufbau eines komplexen Vermeidungsverhaltens, um kritischen Zuständen („Krisen“, Angstattacken) aus dem Weg zu gehen. In diesem Zusammenhang entwickeln betroffene auch Verhaltensweisen, die (scheinbar) Sicherheit bieten und die eigenen Emotionen beherrschbar machen. Durch das zwanghafte Meiden angst belasteter Situationen, schränkt sich der/die Betroffene nach und nach immer mehr im Alltag ein. Im Extremfall wird das Haus nicht mehr verlassen (die Angst bleibt aber dennoch auch dann bestehen!).

 

Beispielsweise indem …

 

  • Besuche von Veranstaltungen, auf denen der Phobiker einer erhöhten Gefahr ausgesetzt ist, auf Betrunkene zu stoßen oder das Gefühl hat, den Ort nicht spontan und unverzüglich verlassen zu können, umgangen werden (z.B. Jahrmärkte, Betriebsfeiern oder Partys/ Discos).
  • die Nutzung (öffentlicher) Verkehrsmittel gemieden wird aus Angst vor Reiseübelkeit bei sich oder Mitreisenden bzw. aus Sorge über Ansteckung bei anderen.
  • aus Angst vor Lebensmittelvergiftungen vermieden wird, auswärts zu essen. Häufig erfolgt auch ein kompletter Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel (z.B. Eier oder Fleisch).
  • Fehlzeiten in der Schule oder auf der Arbeit in Kauf genommen werden, wenn dort Magen-Darm-Viren kursieren.
  • Schwangere gemieden werden, da diese sich häufiger übergeben. Nahezu alle Emetophobikerinnen fürchten sich auch vor einer eigenen Schwangerschaft (Morgenübelkeit).
  • Filme nicht angeschaut werden, weil die Angst besteht, mit einschlägigen Szenen konfrontiert zu werden, in denen sich jemand übergibt, oder im Kino gefangen zu sein, wenn ihm/ihr selbst übel wird.
  • Nahrungsmittel penibel auf ihr Haltbarkeitsdatum überprüft werden, um nicht versehentlich etwas Verdorbenes zu essen.
  • in Räumen zwanghaft nach Fluchtwegen, Mülleimern oder Waschbecken gesucht wird, in die er/sie sich im Notfall übergeben kann.
  • Krankenhäuser, Arztpraxen usw. nicht aufgesucht werden, um dort nicht mit Keimen oder Viren in Kontakt zu kommen oder damit konfrontiert zu werden, wie sich jemand erbricht.
  • prophylaktisch Anti-Brechmittel genommen werden, um Übelkeit zu beseitigen oder sie vorsorglich zu unterdrücken; hieraus entstehen oftmals psychische und physische Abhängigkeiten mit teilweise schwerwiegenden Folgen.
  • medizinisch notwendige Medikamente und/oder ärztliche Untersuchungen aus Angst vorm Erbrechen als Begleiterscheinung abgelehnt oder abgesetzt werden.
  • eine Menge zwanghafter Verhaltensweisen entwickelt werden, die das Risiko, sich z. B. mit Magen-Darm-relevanten Keimen zu infizieren mindern sollen (z.B. häufiges Händewaschen, Desinfizieren von Gegenständen).

Auswirkungen und Folgen der Angst

Die Entwicklung zahlreicher Vermeidungsstrategien hat nicht nur Einfluss auf die psychische Verfassung und das soziale Miteinander, sondern bringt oft auch gesundheitliche Beschwerden mit sich.

Folgen mangelhafter Ernährung

Viele EmetophobikerInnen haben große Probleme, sich normal und ausgewogen zu ernähren. Zum Einen fehlt es an Regelmäßigkeit, zum Anderen werden bestimmte Nahrungsmittel oder Speisen kategorisch gemieden oder nur kleine Portionen gegessen, um sich nicht versehentlich zu „überfressen“. In einigen Fällen bestimmt auch der Gedanke „was nicht gegessen wurde, kann auch nicht wieder rauskommen“ das Ernährungsverhalten – besonders vor Terminen außer Haus – wird oftmals präventiv gehungert. Für viele Betroffene ist das Thema Essen insgesamt mit großer Angst und Anspannung verbunden.

Nicht selten mündet das Essverhalten in (zum Teil starkes) Untergewicht, welches wiederum mit typischen Beschwerden, wie z.B. Kreislaufschwäche, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Verdauungsproblemen oder Mangelerscheinungen einhergeht. Im Gegensatz zu Menschen mit Essstörungen (z.B. Magersucht) haben unterernährte Emetophobiker eine realistische Wahrnehmung gegenüber ihrem eigenen Erscheinungsbild und hegen den Wunsch, an Gewicht zuzunehmen. Dennoch führt die Angst in Einzelfällen bis hin zur kompletten Nahrungsverweigerung - dann ist medizinisch Hilfe dringend erforderlich.

Folgen unsachgemäß eingenommener Medikamente (Medikamentenmissbrauch)

Um Unwohlsein zu bekämpfen oder vermeintlicher Übelkeit vorzubeugen und so dem Alltag Stand zu halten, kommt es oft vor, dass Betroffene bestimmte Medikamente - teilweise in Selbstmedikation - einnehmen. Hierzu zählen vor allem Antiemetika, Magensäureblocker, Antidepressiva oder Beruhigungsmittel, häufig auch pflanzliche oder homöopathische Mittel. Oftmals kommt es hierbei zu einem sucht artigen Gebrauch mit in der Regel psychischer Abhängigkeit (arzneimittelabhängig auch körperlicher Abhängigkeit) und nicht selten treten arzneimittelbedingte gesundheitliche Folgeprobleme auf.

(Illegale) Drogen hingegen spielen eine eher untergeordnete Rolle, da sie in den Augen des Phobikers ein besonders großes Risiko darstellen, sich übergeben zu müssen. Vereinzelt sind wir jedoch Betroffenen begegnet, die einen regelmäßigen und durchaus bedenklichen Alkoholkonsum aufwiesen, um sich „die eigene Angst allabendlich weg zutrinken“.

Psychische Folgen

Ständige Angst und damit verbundenes Vermeidungsverhalten behindern oft die Ausprägung wichtiger Lebenskompetenzen, die für den Erhalt der eigenen physischen und psychischen Gesundheit wichtig sind. Im Sinne des Salutogenese-Modells - welches sich mit Gesundheit (aufrecht) erhaltenden Faktoren beschäftigt - zählen hierzu maßgeblich das Selbstwertgefühl, das Selbstvertrauen, die Beziehungsfähigkeit, die emotionale Erlebnisfähigkeit und die Genussfähigkeit (vgl. Antonovsky, A. 1997, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit.)

 

  • Selbstwertgefühl: Das Gefühl, der Angst hilflos ausgeliefert zu sein, während andere Menschen problemlos mit dem Thema „Erbrechen“ umgehen, führt in der Regel zu Versagensängsten und der Vorstellung, „anders“ zu sein. Das Empfinden, andere und sich selbst häufig zu enttäuschen (z. B. durch das spontane oder regelmäßige Absagen von Verabredungen oder durch das Meiden von Kranken), bieten oftmals den Nährboden für enorme Schuldgefühle und vermitteln Betroffenen den Anschein, wertlos, unnütz oder egoistisch zu sein. Die Einschätzung, anderen eine Last zu sein oder besser für sich allein zu bleiben, sind meist die unmittelbaren Konsequenzen und führen zu starken Minderwertigkeitsgefühlen.

 

  • Selbstvertrauen: Sich dem eigenen Körper und der Angst ausgeliefert zu fühlen und diese nicht bewusst steuern zu können, hat häufig ein großes Misstrauen sich selbst gegenüber zur Folge. Nicht selten entwickelt sich gar eine Angst vor dem eigenen Körper und seinen Funktionen, die in Folge fehlgedeutet werden (z.B. Magengrummeln, Magen knurren u. ä. werden missinterpretiert und wirken angstauslösend).

 

  • Beziehungsfähigkeit: Trotz des Wunsches nach Nähe und Partnerschaft ist der Emetophobiker häufig in einem Wechselspiel aus „Nähe“ und „Distanz“ gefangen und hat Angst, Verpflichtungen einzugehen, die ihm ein Ausbrechen aus unangenehmen Situationen erschweren, z. B. für den Partner, sich selbst oder etwaige Kinder zu sorgen. Launen und Sprunghaftigkeit, körperliche Beschwerden und die Angstsymptomatik werden von den PartnerInnen oft als große Last empfunden. Dies erzeugt für den Betroffenen darüber hinaus das Gefühl, unzumutbar für andere zu sein. Nicht selten ist auch das Sexualleben von der übermäßigen Sorge bestimmt, schwanger zu werden bzw. die Partnerin zu schwängern.

 

  • Emotionale Erlebnisfähigkeit: Das über die Jahre oft perfektionierte Versteckspiel, die eigenen Gefühle und Ängste zu unterdrücken bzw. vor anderen zu verbergen, hat in der Folge oft gravierende Auswirkungen auf die emotionale Erlebnisfähigkeit. Mit der Zeit fällt es den Betroffenen immer schwerer, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu deuten oder auszudrücken, da im Laufe der Zeit alles von der Angst überlagert wird.

 

  • Genussfähigkeit: Die alles verdrängende Angst schränkt in der Regel die Genussfähigkeit stark ein, da bei allem, was der Phobiker denkt, tut oder sagt, das Konfrontationsrisiko abgewogen wird. Viele Betroffene äußern diesbezüglich, dass die Angst ihnen ihre Freude und ihre Unbeschwertheit verleide. Längerfristig ist es für sie kaum noch möglich, sich auf andere Menschen oder Aktivitäten einzulassen. Sie fühlen sich in sich selbst gefangen und durch die Phobie daran gehindert, offen auf die Welt zuzugehen und Freude zu erleben.

 

  • Frustrationstoleranz: Durch häufiges negatives Feedback und das Gefühl, seiner Lage nicht Herr zu werden, verringert sich die Frustrationstoleranz Betroffener oft erheblich. Sie ziehen sich rasch zurück und eigene Misserfolge oder die Reaktionen anderer werden schnell überbewertet. Nicht selten sind depressive Verstimmungen die Folge. Zur Wiedererlangung eines positiven Selbstbildes ist die Entwicklung bzw. die Verbesserung wichtiger Lebenskompetenzen unabdingbar. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Emetophobie – wie andere phobische Erkrankungen auch – eine ernstzunehmende psychische Störung und keine „Laune“ ist. Die Betroffenen können nicht „aus ihrer Haut raus“ und es ist ihnen nicht möglich, sich „einfach zusammenzureißen“. Das zu erkennen und zu akzeptieren, ist ein erster wichtiger Schritt im Umgang mit Angstkranken.

Psychosoziale Folgen

Der lästige und ständige Begleiter „Angst“ führt oft zu enormen Schwierigkeiten im psychosozialen Bereich und mindert deutlich die Lebensqualität. Vielen Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass sie an einer Angststörung leiden und ihre Angst einen Namen hat. Sie fühlen sich allein, „andersartig“ und/oder als Außenseiter. Durch ihr ausgeprägtes Vermeidungsverhalten gelten Betroffene schnell als „Spaßbremsen“ oder „Spielverderber“, da ihr Verhalten von Außenstehenden kaum nachzuvollziehen ist: Sie lehnen alle interessanten und amüsanten Unternehmungen ab – sie kommen nicht mit ins Kino, sagen jede lieb gemeinte Einladung zum Essen oder einer Party ab, trinken keinen Alkohol, wollen nicht mit auf den Jahrmarkt…kurzum vermitteln sie das Bild einer wenig kontaktfreudigen und unzuverlässigen Person. Insbesondere die Aufrechterhaltung von Kontakten und Freundschaften sowie das Kennenlernen neuer Leute sind hierdurch erschwert und können im Extremfall bis zur sozialen Isolation führen. Oft führen EmetophobikerInnen eher oberflächliche oder platonische Freundschaften und meiden Verpflichtungen. Einerseits fällt es ihnen schwer, sich auf emotionale Bindungen einzulassen, andererseits binden sie sich oft an eine einzelne Person ungewöhnlich fest und begeben sich in eine Art emotionale Abhängigkeit von dieser. Hierbei handelt es sich in der Regel um einen Elternteil oder den Partner, der – ähnlich wie bei anderen psychischen Erkrankungen – zur Beruhigung und Aufrechterhaltung des Lebens zum Verbündeten wird und der beruhigen, beschützen, bewahren und mangelnde Lebenssicherheit ausgleichen soll. Neben den bereits erwähnten Aspekten weisen viele Betroffene mit der Zeit auch sozial phobische Züge auf. In manchen Fällen kommt es auch zu Schul-/Ausbildungsabbrüchen oder zum Verlust des Arbeitsplatzes.

Viele Ursachen

Die übersteigerte Angst vor dem Erbrechen kann viele Ursachen haben. Mithilfe eines Psychotherapeuten lassen sich die Ursachen meistens leichter klären als auf eigene Faust. Möglicherweise finden die Betroffenen irgendetwas „zum Kotzen“, aber sie können nicht fassen, was es ist. Oder es ist ihnen nicht möglich, ihre Aggressionen zu äußern. Manchmal weist die Emetophobie auf sexuellen Missbrauch hin. Sie kann auch der Beginn einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie sein. Die Emetophobie hängt oft eng mit den körperlichen und seelischen Veränderungen in der Pubertät zusammen. Die eigene Sexualität erwacht und kann noch nicht sicher gesteuert werden. Da taucht dann die Sorge auf, irgendwie „undicht“ zu sein. Manchmal möchte sich das „Kind in der Pubertät“ auch von Mutter oder Vater entfernen. Wenn diese die anstehende Trennung nicht zulassen und sich mit der Eigenständigkeit des Kindes schwer tun, entsteht vielleicht der Wunsch, Vater oder Mutter mit dem Erbrechen auf Abstand zu halten oder das, was von den Eltern „eingetrichtert“ wird, wieder „auszukotzen“.

Psychische Folgen von Sexuellem Missbrauch

Missbrauchte Kinder reagieren unterschiedlich auf die Geschehnisse. Das zentrale schädigende Element bei sexuellem Missbrauch, vor allem innerhalb der Familie, ist die langfristige Verwirrung, der das Kind auf kognitiver, emotionaler und sexueller Ebene ausgesetzt ist. Das Kind ist irritiert, wenn sich die Rolle einer (väterlichen) Autoritätsfigur mit der eines scheinbaren sexuellen Partners vermischt.

Die Tatsache, dass der Missbraucher den sexuellen Charakter der Handlungen meist vollständig verleugnet, es also abstreitet, dass überhaupt sexuelle Handlungen stattfinden, nimmt dem Kind die Möglichkeit, die emotional intensiven und verwirrenden Geschehnisse zu begreifen und sinnvoll einzuordnen. Darüber hinaus wird es in der Regel gezwungen, alles geheim zu halten. Es kann mit niemandem über die Geschehnisse sprechen, fühlt sich hilflos, allein und dem Missbraucher schutzlos ausgeliefert. Sexueller Missbrauch setzt das Kind also nicht nur traumatischen Erfahrungen aus, durch die seine sexuellen Gefühle und Vorstellungen in einer Weise beeinflusst werden, die seinem Entwicklungsstand und der Qualität seiner Beziehungen nicht entsprechen, sondern das Kind wird auch in seinem Vertrauen zutiefst erschütternd, wenn es entdeckt, dass eine Person, die es liebt und zu der es in einer lebenswichtigen Beziehung steht, es missbraucht und verletzt. Findet das Kind bei seinem Versuch sich mitzuteilen und sich dem Missbrauch zu entziehen zudem durch seine Umwelt keinen Glauben und keine Unterstützung, wird die ganze Situation noch verschärft.

 

Die grundlegende Missachtung des Willens des missbrauchten Kindes und die (fortgesetzte) Verletzung seiner körperlichen Integrität konfrontieren das Kind mit Gefühlen der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Auch in seinem Selbstvertrauen wird es zutiefst geschädigt, wenn es die Gefühle der Scham, der Schuld und der Wertlosigkeit als dem eigenen Selbst zugehörig verinnerlicht. Das gleichzeitige Zusammentreffen von körperlicher und seelischer Schädigung durch den sexuellen Missbrauch, des Verrats durch eine Vertrauensperson, der Hilflosigkeit und des Empfindens von Beschädigt und Ausgestoßensein machen den sexuellen Kindesmissbrauch zu einem äußerst gravierenden traumatischen Erlebnis.
Wie die Folgen für die betroffenen Jungen und Mädchen langfristig aussehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht alle Kinder, die sexuell missbraucht wurden, entwickeln auffällige Symptome.

Nach Einschätzung vieler Experten sind die Schädigungen umso schwerwiegender

 

  • je größer der Altersunterschied (z.B. Generationen unterschied) zwischen Täter und Opfer ist;
  • je größer die verwandtschaftliche Nähe ist (sexuelle Übergriffe durch Autoritäts- und Vaterfiguren werden als besonders gravierend eingestuft);
  • je länger der Missbrauch andauert;
  • je jünger und weniger weit entwickelt das Kind zu Beginn des Missbrauchs ist;
  • je mehr Gewalt angedroht und angewendet wird;
  • je vollständiger die Geheimhaltung ist;
  • je weniger sonstige schützende Vertrauensbeziehungen, etwa zur Mutter, Geschwistern, Gleichaltrigen oder einer Lehrerin bestehen.
  • Eine Gewichtung der einzelnen Faktoren lässt sich kaum vornehmen. Fest steht: der sexuelle Missbrauch ist ein häufig traumatisches und damit lebensbestimmendes Ereignis.

 

Jedes Kind entwickelt entsprechend seiner Persönlichkeit und der Missbrauchssituation individuelle Reaktionen und Symptome. Die meisten Mädchen und Jungen, die sexuell missbraucht werden, fühlen sich schuldig und wertlos. Das Erleben von sexuellem Missbrauch kann zu Bindungsunfähigkeit führen. Liebe und Sexualität werden verwechselt, weil gelernt wurde, dass sexuelles Verhalten belohnt wird. Somit wird Sexualität als Mittel eingesetzt, um Zärtlichkeit und liebevolle Zuwendung zu bekommen. Prostitution und aggressives sexuelles Verhalten können die Folge sein, aber auch das Vermeiden von intimen Beziehungen kommt vor.


Viele Kinder, die missbraucht wurden, fühlen sich stigmatisiert. Sie glauben, an ihnen sei etwas, das zum sexuellen Missbrauch führt, in dem sie sich von anderen Menschen unterscheiden. Sie meinen, die einzigen Kinder zu sein, die in sexuelle Handlungen mit Erwachsenen verwickelt werden. Schuldgefühle, ein extrem niedriges Selbstwertgefühl und Selbstbestrafungstendenzen sind die Folge. Auch Suchtprobleme (Alkohol und Drogen), Essstörungen sowie Identitätsstörungen (Borderline-Syndrom) treten auf.

Ein schlimmes traumatisierendes Erlebnis ist der Verrat durch Vertrauenspersonen vor allem dann, wenn der Missbrauch innerhalb der Familie stattfindet. Dieser Verrat wird sowohl durch den Missbraucher selbst als auch durch enge Bezugspersonen begangen, von denen das Kind Schutz und Glauben des Geschehenen erwartet hätte. In einigen Fällen führt dieser Verrat zu einem tiefen Misstrauen gegenüber allen Menschen. Der Aufbau tragfähiger Freundschaften wird somit erschwert. Partnerprobleme treten verstärkt auf und Bindungsängste können die Folge sein.

 

Auch die Möglichkeit, ihre persönlichen Grenzen kennen zu lernen, wird missbrauchten Kindern verwehrt. Bei den von ihnen nicht gewollten sexuellen Handlungen müssen sie lernen, Übergriffe auszuhalten. Viele Missbrauchsopfer neigen daher später zu extremer Opferbereitschaft bis hin zur Selbstaufgabe.

 

Schädigenden sexuellen Erfahrungen, Verrat, Ohnmacht und Stigmatisierung sind leider nicht nur missbrauchte Kinder ausgeliefert; das gleichzeitige Zusammentreffen aller vier Faktoren in der Missbrauchssituation ist es jedoch, was sexuellen Kindesmissbrauch von allen anderen, möglicherweise traumatischen Erlebnissen (wie etwa Scheidung der Eltern oder auch physische Misshandlungen) unterscheidet.

 

Das Ausmaß der Schädigungen variiert in Abhängigkeit davon, wie sich im Einzelfall diese vier Faktoren wechselseitig verstärken oder abschwächen.

Als langfristige Folgen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen treten im Erwachsenenalter häufig auf:

 

  • Störungen der Sexualität und Partnerschaftsprobleme
  • Störungen in der Wahrnehmung eigener Gefühle (Verwechselung von Affektivität und Sexualität)
  • Gefühle der Wertlosigkeit, Scham, Schuld, Wut
  • Ablehnung des eigenen Körpers, selbst destruktives Verhalten, Selbstmord(versuche)
  • Sexualisierung von Beziehungen
  • Störung der Sexualfunktionen
  • emotionaler Rückzug und soziale Isolation, Misstrauen
  • Depression
  • Gefühle, außerhalb des eigenen Körpers zu sein (Dissoziation)
  • Alkohol - und Drogenmissbrauch
  • Angstzustände, Alpträume, angst machende Tagträume
  • Schlaf- und Essstörungen
  • psychosomatische Beschwerden (vor allem Haut- und Magenerkrankungen)
  • Prostitution

 

Obwohl die genannten Störungen nicht nur infolge von sexuellem Missbrauch entstehen können, ist die Wahrscheinlichkeit, das Missbrauchsopfer unter einem oder meist mehreren dieser Symptome leiden, deutlich erhöht.

Die Folgen

Wie schon erwähnt variieren die Folgen, und das tückische an dem ganzen ist, das man damals noch nicht absehen konnte wie stark die folgen sein werden, noch wann und ob überhaupt Folgen auftreten. Ich weiß noch, das ich als Kind schon angst vor dem Erbrechen hatte, nur es hat mich nicht eingeschränkt. Ich weiß noch genau wie meine erste Panikattacke war, als ob es erst gestern gewesen war.

 

Ich hatte mich um eine Ausbildung beworben, und hatte mich gerade fertig gemacht, da ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Ich hatte mich riesig gefreut und bin im Kopf schon alle Fragen durchgegangen die mir womöglich gestellt werden.

 

Kurz bevor ich die Haltestelle erreicht hatte wo ich aussteigen musste, traf es mich wie ein Blitz. Ich bekam todeangst, Herz rasen, Schweißausbrüche. Ich fühlte mich regelrecht überfahren. Ich versuchte mich zu beruhigen. Schließlich in der Firma angekommen, war mein erster Gedanke, wo ist das nächste Klo, wo ist der nächste Notausgang? Die Panik und die daraus resultierte Übelkeit wurden immer schlimmer. In meinem Kopf waren nur noch Fluchtgedanken. An das Gespräch erinnere ich mich gar nicht mehr, so vernebelt war ich durch diese Gedanken.

 

Als das Gespräch endlich zu ende war rannte ich nur noch raus, in der Hoffnung das es an der frischen Luft besser wird. Ich fühlte mich so ausgeliefert durch meine eigenen Gedanken. Da der Heimweg zu Fuß eine gute halbe Stunde dauerte hätte ich eigentlich mit dem Bus fahren sollen. Durch meine Angst war dies das erste was ich gemieden habe. Meine Panik strömte immer noch mit Hochtouren durch mein Körper also begann ich nach Hause zu „laufen“. Es fühlte sich an als ob ich um mein Leben laufen würde. Schließlich kam ich an. Mein damaliger Partner wusste zwar von meiner Vergangenheit und auch von meiner Angst, nur er ahnte wohl nicht welche Ausmaße das ganze noch annehmen würde. Ich ließ mich wie erschlagen ins Bett fallen. Die nächsten Tage war ich einfach nur wie gelähmt. Ich war wie ein Zombie der einfach nur existierte, schlagartig kamen Gedanken wie „jetzt ist es passiert, ich werde wie meine Mutter“ schnell schob ich die Gedanken bei Seite. Was mich aber richtig Überrascht hatte, ich habe eine zusagen von dieser Firma bekommen. Obwohl ich bis heute nicht weiß wie das Gespräch verlief. Ich hätte dies als Anreiz nehmen sollen. Aber nein, ab diesem Tag kamen diese Panikattacken mehr falls täglich über stunden.

 

Zeitweise fühlte ich mich zurück versetzt zu der Zeit wo diese Vorfälle passiert sind, ich ließ jeden einzelnen Tag über mich ergehen, und wartete, und bettete das es endlich aufhöre. Mit der Zeit vermied ich natürlich immer mehr Sachen, lebte quasi gar nicht mehr. Ich ging nur noch raus um Gassi zu gehen mit meinen Hunden, ansonsten existierte meine Welt nur noch zuhause . Meine Angst wurde immer größer, ich hatte nicht nur Angst das ich mich draußen mich mit irgendwas anstecken würde, sondern eben Angst vor einer möglichen Panikattacke, schließlich hatte ich Angst vor der Angst. Mir war klar, es ist ein Teufelskreis. Nur wie käme ich da wieder raus?! Zu diesem Zeitpunkt wusste es nur mein damaliger Partner und eine Freundin von meiner Angst, meine Scham war einfach zur groß, ich hätte es nicht ertragen können zurück gewießen oder gar ausgelacht zu werden, aus diesem Grund beschloss ich eine Maske zu tragen.

 

Es vergingen genau 3 lange Jahre, bis ich diese Grenze aus eigener Kraft überqueren konnte. Ich weiß bis heute nicht woher diese Kraft kam, ob es der Umzug in ein neuen Stadtteil war, oder die neue Wohnung. Fakt ist das ich eines morgens Wach geworden bin und mich fantastisch gefühlt habe. Ich hatte zum ersten Mal seit Jahren wieder den Drang raus zu gehen die Umgebung kennen zu lernen, ja sogar auf Einkaufen habe ich mich gefreut. Ich wollte einfach alles wieder selbst in die Hand nehmen. Ich hatte mir sogar ein Termin beim Psychologen geholt, weil ich diesmal alles besser machen wollte, sie sagte sie könne momentan nichts für mich tun da es mir so gut ging, ich solle wieder kommen wenn sich was ändern würde. Ich wusste mich dato nicht das ich besser geblieben wäre.

 

Es vergingen 10 Jahre. Einiges hatte sich geändert, ich hatte geheiratet und wurde sogar Schwanger. Durfte sogar Berufserfahrung sammeln. Ich bin sogar 4 mal geflogen. Ich durfte alles erleben was mir so lange verwehrt geblieben ist. Natürlich kamen diese Angst Gedanken ab und an wieder hoch gerade weil ich damals in einem Großraum Büro gearbeitet hatte mit nur 4-6 Toiletten. Aber ich war so stark und konnte diese Gedanken schnell wegschieben. Ja sogar die Schwangerschaft hab ich gemeistert, ich hatte zwar nur Übelkeit, aber alleine diese Tatsache hätte mich noch vor Jahren in Panik verfallen lassen.

 

 

Im Sommer 2015 dann der Knall, zwei Tage davor hab ich schon Fieber bekommen nur sonst keine Symptome. Ich dachte nur „och nee jetzt bekomme ich auch noch diese Sommergrippe wo so viele drunter leiden“ Meine kleine war damals gerade 6 Monate alt, ich wollte sie natürlich nicht anstecken. Deshalb knuddelte sich sie eine Zeit lange nicht so intensiv. Ein Tag verging und neben Fieber kam noch Darmprobleme hinzu, auch dies hat mich nicht aus der Ruhe gebracht. Am Abend kam dann noch Übelkeit hinzu. Ich merkte wie Panik langsam in mir hochkam. Am nächsten Morgen wars dann soweit. Dieses Gefühl von ausgeliefert sein nicht weg können ist es wohl das was mich so ängstigt bis hin zu ersticken. Viele müssen schmunzeln wenn ich sagen, ich würde lieber sterben als nochmals eine Magen-Darm Grippe erleben zu müssen. Weil eben für Außenstehende diese Krankheit zwar unangenehm ist aber das wars auch, aber ich meine es wirklich wenn ich sagen ich würde lieber alles andere erleben oder eben sterben. Glücklicherweise hatte mein Mann und meine Tochter die Möglichkeit bei meiner Schwägerin unter zu kommen. Natürlich wollte ich weder sie noch mein Mann anstecken. Ich hab es natürlich oder leider auch noch aus einem anderen Grund gemacht, weil ich es nicht ertragen kann wenn man es bei mir weder hören noch sehen soll.

 

Mein Wille wars natürlich das ich mich davon jetzt nicht einschüchtern lassen möchte, ich wollte um jeden Preis mein Leben behalten. Ich machte direkt ein Termin bei einer Psychologin. Nur diesmal waren die Attacken stärker und ausgeprägter. Ich litt nicht nur an täglicher Übelkeit sondern noch an permanente Schwäche und Kreislaufprobleme. Und da ich bisher erst einmal Ohnmächtig geworden bin, wollte ich dies natürlich kein zweites Mal erleben. Also begann ich unbewusst wieder zu vermeiden, Anfangs waren es nur Kleinigkeiten.

 

 

Der Vorfall ist jetzt über 1 Jahr her. Glücklicherweise habe ich nicht jeden Tag Panikattacken, das macht es auch unberechenbar. Nur eins ist immer Gleich, ich fühle mich jeden einzelne Mal ausgeliefert, schwach, und würde am liebsten weg laufen.

 

Diesmal sind die Schuldgefühle noch größer, weil ich mir immer in den Kopf gesetzt habe, besser sein zu wollen als meine Mutter. Meiner kleinen alles aufregende zu zeigen, um ihr ewiger wissendurst zu stillen. Ich weiß, ich werde es irgendwann schaffen...